Cover
Titel
Frauen am Ball / Femmes au ballon. Geschichte(n) des Frauenfußballs in Deutschland, Frankreich und Europa / Histoire(s) du football féminin en Allemagne, en France et en Europe


Herausgeber
Hüser, Dietmar
Reihe
Jahrbuch des Frankreichzentrums der Universität des Saarlandes
Anzahl Seiten
536 S.
Preis
€ 37,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Veronika Springmann, Sportmuseum Berlin

Wahrnehmungen prägen Geschlechterklischees. Eine neulich erschienene Studie aus der Schweiz zeigt folgendes: Solange Zuschauer:innen eines Fußballspiels nicht wissen, ob die Spielenden, denen sie zuschauen, Männer oder Frauen sind, urteilen sie nicht entlang von Geschlechterstereotypen.1 Fußballspiele von Frauen wurden hingegen oft als langsam und wenig spielstark charakterisiert. Und als jüngst bekannt wurde, dass Marie-Louise Eta die erste Co-Trainerin in der Bundesliga der Männer werden würde, sorgte dies für Schlagzeilen und sexistische Kommentare. Frauen hatten in vielen europäischen Ländern vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg keine Möglichkeit, in irgendeiner Weise am offiziellen Spielbetrieb teilzunehmen. Mit den Konsequenzen haben wir also bis heute zu tun, denn wie in wenig anderen gesellschaftlichen Bereichen gilt der Fußball nach wie vor als „Männerdomäne“. Diese Einschätzung änderte sich erst zart in den letzten Jahren.

Entlang von 16 Beiträgen zeigt der hier zu besprechende Tagungsband die Entwicklung des Frauenfußballs sowohl in der BRD, der DDR, Schweiz, Frankreich und Polen.2 Chronologisch strukturiert, ist der Band in vier Abschnitte gegliedert. Eingeführt wird der Band von einem Beitrag des Herausgebers Dietmar Hüser mit einem Zitat aus einem „Lexikon Fußball“.3 Damenfußball sei zwar zwischen 1952 und 1960 in Mode gewesen, doch habe der Charme der Mädchen (sic) doch deren Können überwogen. Hüser skizziert in seinem Beitrag nicht nur die Hürden, die der Frauenfußball innerhalb des Sports nehmen musste, auch die Geschichtsschreibung befasste sich erst sehr spät damit. Das Anliegen des Bandes ist es also, diese Lücke zu schließen, und das über Grenzen hinweg. Der Band ist deswegen zweisprachig (deutsch-französisch) angelegt.

Im ersten Teil – Frauenfußball in der Langzeitperspektive – beschreiben Sven Güldenpfennig, Laurence Prudhomme und Florian Bührer die Entwicklung des Frauenfußballs seit Ende des 19. Jahrhunderts. Während Güldenpfennig in seinem Beitrag das „Zusammenspiel von kulturellem Eigensinn der Sportidee, allgemeiner Misogynie und weiblicher Selbstbehauptung“ (S. 41) beleuchtet, gibt Prudhomme in ihrem Beitrag einen Überblick über 50 Jahre Fußball in der Fédération francaise de football (FFF). Genauso wie der Deutsche Fußball-Bund (DFB) verbot auch die FFF nach dem Zweiten Weltkrieg Frauenfußball. Trotz der Aufhebung dieses Verbots 1970 ignorierten die FFF, der DFB und auch die UEFA den Frauenfußball weitgehend. Erst 1982 entschloss sich die UEFA, Europameisterschaften für Frauen ins Leben zu rufen. Prudhomme bilanziert, dass der Fußball ein gut verteidigtes Terrain sei. Entsprechend sei gerade Frauenfußball gleichermaßen ein Feld der Emanzipation, ein Feld des Widerstands aber auch der männlichen Herrschaft. Bührer vermittelt in seinem Beitrag einen Einblick über den Frauenfußball in der Schweiz. 1923 gründeten sich „Les Sportives“ in Genf. In diesem Frauensportverein wurde auch Fußball trainiert. Die Gründerin Florida Pianzola war eine leidenschaftliche Sportlerin; sie nahm 1922 an den vom Internationalen Frauensportverband organisierten Frauen-Weltspielen/Frauen-Olympiade in Paris teil. Bührer weist in seinem Beitrag auf die Lücken in der Geschichtsschreibung hin, sei es mit Blick auf die Akteurinnen oder auf die Orte und Gelegenheiten, an denen Frauen Fußball spielen durften beziehungsweise konnten. Interessant ist auch der Hinweis von Bührer auf die Sportwissenschaftlerin Gabi Langen und deren Beobachtung, Sportfotografen hätten durch bestimmte visuelle Muster in den 1920er-Jahren vor allem demonstriert, dass Frauen und das Fußballspiel nicht kompatibel seien.4 Wie wirkungsmächtig diese konstruierte Unvereinbarkeit war, zeigt sich im von Bührer erwähnten Beitrag „der schöne Fußball“ der Schweizer Illustrierten 2013 über Schweizer Nationalspielerinnen, der die Frauen in Abendgarderobe ablichtete. Ähnliche Kampagnen gab es aber auch 2011 bereits in Deutschland, „Schminke statt Stollen. So schön kann Fußball sein“.5 Frauen in Fußballkleidung, so der Inhalt der Kampagne, seien unattraktiv. Entsprechend wurden nun die Nationalspielerinnen klischiert weiblich abfotografiert und gestylt. Damit wurde aber die tiefsitzende Haltung der Unvereinbarkeit von „Weiblichkeit und Fußball“ eher verstärkt als aufgebrochen oder gar in Frage gestellt.

Im zweiten Abschnitt des Bandes – von den Anfängen bis in die 1940er-Jahre – zeigen Xavier Breuil, Wolfgang Freund und Helge Faller die Entwicklung des Fußballs bis zum Zweiten Weltkrieg. Hervorzuheben ist hier insbesondere der Beitrag von Faller, der vor allem die Organisationen in den Blick nimmt. Er konstatiert, dass sich der Frauenfußball bis zum Zweiten Weltkrieg national wie international auf einem hohen Niveau befunden habe. Wolfgang Freund konzentriert sich auf die Bedeutung des Pariser Vereins „Fémina Sport“, der wesentlichen Anteil an der Verbreitung des Fußballs in Frankreich hatte. Aufmerksam macht er darüber hinaus auf den Umstand, dass ohne entsprechende Plätze oder Stadien kein Fußballspiel möglich war. Diese aber wurden Frauen sehr viel weniger zur Verfügung gestellt. Eine Ausnahme war das „Stade Elisabeth“ im XIV. Arrondissement, das von einem Sponsor finanziert wurde.

Im dritten Teil, der die 1950er- bis zu den 1980er-Jahren behandelt, zeigen Carina Sophia Linne, Dariusz Wojtaszyn, Alexander Friedmann, Saskia Lennartz sowie Hans-Peter Hock die Entwicklungen des Frauenfußballs in DDR und BRD (Linne), in Polen (Wojtaszyn) sowie im Saarland (Lennartz) als auch an der Mosel (Hock). Informativ ist insbesondere der Beitrag von Linne, die sich auf die Medienberichterstattung in beiden deutschen Staaten konzentriert. Sie arbeitet heraus, dass die sozialistisch geprägte Emanzipationsbewegung, die vor allem die Arbeitskraft zentral stellte, den Frauenfußball weitaus weniger diskreditierte als das in der BRD der Fall gewesen sei. Die Kritik am Frauenfußball – und das gilt für alle der im Band vorgestellten Länder bzw. Regionen – richtete sich vor allem auf die (vermeintliche) Beeinträchtigung der Gebärfähigkeit durch den Sport. Das war in der DDR deutlich weniger der Fall. Allerdings, so Linne, waren nur wenige Spielerinnen auch Mütter. (Leistungs-)Sport schien mit der Ehe vorbei zu sein. Gerade der Punkt der Gebärfähigkeit war auch zentral im Verbot der DFB. Bedauerlicherweise gibt es in diesem Sammelband keinen Beitrag, der sich quellenkritisch mit diesem Verbot auseinandersetzt, das so schmerzhaft zeigt, wie restaurativ und konservativ der DFB agierte.

Der letzte Teil des Bandes schließlich beschäftigt sich mit dem Frauenfußball seit den 1990er-Jahren. Hervorzuheben ist hier der Artikel von Annette R. Hoffmann und Silke Sinning, die eine weitere Akteur:innengruppe in den Blick nehmen, nämlich die Trainerinnen. Dass deren Expertise ernst genommen wurde, und zwar auch über den Frauenfußball hinaus, war und ist ein langer steiniger Weg.

Der Band gibt einen guten Überblick zur Geschichte und Entwicklung des Frauenfußballs. Wenig überraschend finden sich viele Redundanzen gerade mit Blick auf Fußball und Geschlechterstereotype sowie dem Versuch der Spielerinnen, um der Anerkennung wegen dem zu entsprechen, was jeweils als „weiblich“ gelesen wurde. Hier hätte ich mir einen Beitrag gewünscht, der nicht nur die historische Entwicklung des Frauenfußballs zu zeigen vermag, sondern diese dezidiert aus einer geschlechtergeschichtlichen Perspektive analysiert, insbesondere auch die Potentiale einer historischen Betrachtung dieses Sports mit Blick auf Phänomene wie Inklusion, Teilhabe und Emanzipation. Verwendete Begrifflichkeiten in diesem Band, sei es „Damenfußball“ oder „Mannweib“, verdeutlichen bitter, wie anfällig für Geschlechterzuschreibungen und -zuweisungen das Thema auch gegenwärtig noch ist, selbst bei Historiker:innen.

Anmerkungen:
1 Carlos Gomez-Gonzalez u.a., Gender information and perceived quality: An experiment with professional soccer performance, in: Sport Management Review 2023, https://doi.org/10.1080/14413523.2023.2233341 (05.12.2023).
2 Der Tagungsband geht zurück auf die Tagung: „Und da sind dann auch endlich die Damen Fußballerinnen…….“: Geschichte, Trends und Ausblicke 50 Jahre nach dem Ende des offiziellen Spielverbots in Westdeutschland, Frankreich und Europa (23. bis 25. Oktober 2019 am Graduate Centre der Universität des Saarlandes).
3 Hans Jürgen Jendral (Hrsg.), Schneider Lexikon Fußball, München 1969, S. 52.
4 Gabi Langen, „Kampf der Kugeln“. Die Anfänge des Frauenfußballs in der Sportfotografie, in: Markwart Herzog (Hrsg.), Frauenfußball in Deutschland. Anfänge – Verbote – Widerstände – Durchbruch, Stuttgart 2013, S. 285–304, hier S. 300.
5 Vgl. bspw. für diese Kampagne Stuttgarter Nachrichten, Schminke statt Stollen. So schön kann Fußball sein, 22.6.2011.

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